Wenn der Staatsanwaltschaft konfiszierte 35,5 Millionen Euro verloren gehen

  • Die Verwertung von sichergestelltem Kryptogeld stellt die Justiz vor Probleme. Die Koblenzer Generalstaatsanwaltschaft musste tatenlos zusehen, wie ihr ein Vermögen abhandenkam.


    Wenn Ermittler die Konten von Kriminellen einfrieren und Vermögen aus krummen Geschäften einziehen, dann werten sie vier Ziffern vor dem Komma eigentlich nicht als großen Erfolg.


    Anders sah es bei dem Betrag aus, den die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft über einen Zeitraum von einem Jahr bis Dezember 2020 sichern konnte. Er bestand zwar auch nur aus einer vierstelligen Zahl, weil es sich jedoch um die Kryptowährung Bitcoin handelte, erwiesen sich die 2733,21533514 am Ende als echter Jackpot für die Staatskasse.



    Es waren Erlöse, welche die Betreiber von Movie2k.to, bis 2013 Deutschlands führendes Portal für raubkopierte Filme, eingenommen hatten. Staatsanwälte und Beamte des Landeskriminalamts Sachsen waren zwei mutmaßlichen Betreibern der illegalen Plattform auf die Schliche gekommen.


    In zwei Tranchen tauschten die Behörden die digitale Verbrecherbeute ein. Am 20. Januar wechselte die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft die letzten konfiszierten Bitcoins in Euro um. Insgesamt fließen so knapp 35,5 Millionen Euro in die Landeskasse – der höchste Betrag aus sichergestellten Digitalwährungen, den deutsche Strafverfolgungsbehörden bis dato einkassieren konnten.


    Vor zehn Jahren kratzte die virtuelle Währung gerade mal die Ein-Euro-Marke – heute ist ein Bitcoin weit über 40.000 Euro wert. Doch der Höhenrausch der Digitalwährung stellt die Justiz hierzulande vor ganz neue Probleme. Immer häufiger hantieren Kriminelle mit Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum, Litecoin oder Monero, vor allem bei Geschäften im Darknet akzeptieren Dealer selten andere Zahlungsmittel.


    Nicht überall läuft für die Fahnderinnen und Fahnder die Verwertung allerdings so reibungslos wie unlängst in Sachsen. Die größte Hürde besteht darin, den Beschuldigten die verschlüsselten Zugänge für ihre Online-Geldbörsen, sogenannte Wallets, zu entlocken. Denn ohne diese Passwörter kann der Staat die Bitcoins nicht veräußern.


    Im Dresdner Kriminalfall ging die Sache gut, der geständige Programmierer hatte das Passwort herausgerückt. Doch andernorts schweigen auch bereits Verurteilte weiterhin eisern. So kommt es, dass den Fahndern Bitcoin-Bestände verschlossen bleiben, deren Eurowert sich, befeuert durch den Kursboom, mittlerweile auf eine dreistellige Millionensumme zubewegt.



    Wie etwa in Kempten. Dort stieß die Staatsanwaltschaft Ende 2013 auf mehr als 1800 Bitcoins eines Cyberkriminellen. Der Mann verbüßte unter anderem wegen Ausspähens von Daten und Computerbetrugs eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.


    Das Passwort für sein Wallet gab er nicht preis. Er wurde deshalb verurteilt, 432.000 Euro Wertersatz an die Staatskasse zu leisten. Heute ist der Mann wieder frei, der Bitcoin-Berg hat aktuell einen Wert von 79 Millionen Euro – aber die bayerischen Strafverfolger werden allenfalls den Wertersatz bekommen.


    Noch verflixter ging es bei einem Fang zu, den die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz gemacht hatte. Die rheinland-pfälzischen Ermittler mussten gleich zweimal dabei zusehen, wie sich ein Bestand von heute umgerechnet insgesamt rund 35,5 Millionen Euro vor ihren Augen quasi in Luft auflöste.


    Dabei hatte alles so gut begonnen.


    Mitte April 2016 verhafteten Spezialkräfte im südpfälzischen Rülzheim den damals 30-jährigen Nikolas K. Der Sohn eines früheren Fußballnationalspielers hatte mit seinen Komplizen die zu diesem Zeitpunkt größte Online-Drogenplattform Europas hochgezogen. Sie hieß Chemical Love.


    Aus dem Versteck trug die Polizei nicht nur zentnerweise Drogen, sondern auch den Laptop des mutmaßlichen Bandenchefs. Dort fanden die Ermittler einen Goldtopf: ein passwortgeschütztes Wallet mit 757 Bitcoins – mutmaßliche Einnahmen aus Drogengeschäften. Doch der Hauptverdächtige spielte nicht mit, das Passwort wollte ihm partout nicht mehr einfallen.


    Vor Gericht bestand der Angeklagte vehement auf seiner Darstellung, es gebe noch einen Chef über ihm, den wahren Strippenzieher, der die Geschicke der Drogendealer lenke. Das Landgericht Landau kaufte K. die Geschichte vom großen Unbekannten nicht ab – und verurteilte ihn im Sommer 2017 zu knapp 15 Jahren Gefängnis sowie zwei Jahre später nach einer Revision beim Bundesgerichtshof zu einer Zahlung von 1,5 Millionen Euro als Wertersatz für die nicht greifbare Beute.


    Die Bitcoins von Chemical Love verschwanden allerdings in der Zwischenzeit. Ein erster Schwung von knapp 300 war bereits kurz vor Beginn des ersten Prozesses abgeflossen. Kurz nachdem das Urteil gegen K. rechtskräftig war, wurde die Chemical-Love-Kasse dann von »unbekannten Personen« komplett leergeräumt, wie der Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer dem SPIEGEL auf Anfrage mitteilte.


    Die Ermittler konnten die Bewegungen vor dem Bildschirm zwar live verfolgen, verhindern konnten sie sie nicht: »Wie vor dem Aquarium«, so schildert es Behördenchef Brauer, hätten sie dem Abfluss des Geldes zugesehen.


    Demnach sind zwischen dem 29. und 31. Dezember 2019 auch die restlichen 487 Bitcoins im digitalen Nirwana verschwunden und »auf andere Wallets, auf die ebenfalls kein Zugriff besteht, wegtransferiert worden«, so Brauer. Damaliger Kurswert der zuletzt verschwundenen Bitcoin-Tranche: mehr als 3 Millionen Euro. Heutiger Kurswert: knapp 23 Millionen Euro. Doch der deutsche Staat erhält am Ende mit Glück gerade mal die 1,5 Millionen Euro aus dem Urteil.


    Im Umgang mit Digitalwährungen, die aus Straftaten stammen, wirkt die Justiz in Deutschland noch immer so, als fühlte sie sich von diesem nicht mehr ganz so neuen Phänomen in ihrem Alltagsbetrieb gestört. Bundesweit einheitliche Regeln, wie und wann die Justiz Bitcoins zu Euros machen kann, gibt es nicht.


    In manchen Bundesländern sind Generalstaatsanwaltschaften für die Verwertung zuständig, anderswo eigens eingerichtete Einheiten zur Bekämpfung der Internetkriminalität oder die ermittelnden Staatsanwaltschaften. In der 2017 in Kraft getretenen Reform der Vermögensabschöpfung war das Phänomen Kryptowährungen gar kein Thema. Die meisten einzurichtenden Zentralstellen in den Bundesländern befinden sich oft noch in der Findungsphase.


    Christian Rückert, Experte für Strafrecht und Cyberkriminalität an der Universität Erlangen-Nürnberg, sieht wesentliche Grundsatzfragen bislang ungeklärt. Bitcoins, argumentiert der Jurist, könnten genau betrachtet keiner der etablierten rechtlichen Vermögenskategorien wie zum Beispiel dem Eigentum zugeordnet werden. »Das Problem haben gerade alle Länder: Was ist das eigentlich und wie gehen wir damit um«, sagt Rückert. Zudem sei vollkommen »unklar, nach welchen Rechtsvorschriften die Behörden diese Kryptowährung beschlagnahmen können. Das muss geregelt werden«.


    Bis das geregelt ist, geht dem Staat potenziell jeden Tag bares Geld verloren.


    Während Sachsen bereits interne Statistiken zum Verkauf weniger geläufiger Kryptowährungen wie Litecoin oder Ethereum führt, hat Schleswig-Holstein in den vergangenen fünf Jahren gerade mal 74.000 Euro mit dem Tausch von Bitcoin zu Geld gemacht.


    Anderswo, in Hamburg oder im Saarland, führen Beamte des Landeskriminalamts allenfalls für den internen Hausgebrauch Buch über in Euro umgetauschtes Kryptogeld. Am wenigsten bewegt sich offenbar in der Hauptstadt: In Berlin scheiterten die Behörden am Verkauf von 64 Bitcoins, zuletzt an der Einrichtung eines Kontos für den Bitcoin-Transfer.


    Die Justiz darf mit sichergestelltem Vermögen nicht spekulieren, sondern soll Tätern lediglich wegnehmen, was sie illegal erwirtschaftet haben. Und so betrachten die Ermittler die Bitcoin-Wallets der Straftäter wegen des hohen Kursrisikos wie eine teure Flasche Wein: als »verderbliche Ware«, die jederzeit umkippen könnte und die es möglichst schnell loszuwerden gilt. Der juristische Begriff: Notveräußerung.

  • Fast alle Behörden benutzen dazu die kommerzielle Plattform Bitcoin.de. Doch auch daran gibt es Kritik von einigen Experten, denn die Umtauschbörse ist in mancherlei Hinsicht eine Blackbox: Wer der Käufer der Bitcoins ist, wird erst im Nachhinein klar, wenn der Vertrag schon gilt. Auf der Internetplattform werde anonym gehandelt – und niemand könne ausschließen, dass beim »freihändigen Verkauf« gesetzeswidrig womöglich Richter, Staatsanwälte oder andere Justizbedienstete zum Zuge kämen, argumentiert Christoph Hebbecker, Sprecher der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC).


    In Nordrhein-Westfalen ist die ZAC die verantwortliche Behörde für die Verwertung von Kryptowährungen. Aktuell sitzt die der Kölner Staatsanwaltschaft angegliederte Ermittlungseinheit auf 460 sichergestellten Bitcoins. Derzeitiger Wert in Euro: rund 19 Millionen.


    Die ZAC möchte sich aus genannten Gründen zukünftig nicht mehr am Handel auf Bitcoin.de beteiligen und plädiert für einen Sonderweg. Staatsanwalt Hebbecker macht sich auf Anfrage des SPIEGEL für eine justizeigene Plattform für die Versteigerung von Kryptowährungen stark. Auch andere eingezogene Ware dürfe in der Regel nicht frei verkauft, sondern müsse versteigert werden, so das Argument.


    »Für Bitcoin existiert zwar kein Börsenpreis«, erläutert der Kölner Staatsanwalt Hebbecker. »Jedoch ist über die internationalen Handelsplätze ein Marktpreis mit hoher Transparenz bekannt, sodass sich ein Versteigerungserlös regelmäßig an diesem orientieren dürfte.«


    Die Idee einer staatlichen Bitcoin-Auktion ist nicht ganz neu. Nach den ersten großen Kriminalfällen mit sichergestellter Kryptowährung rückte dafür zunächst das staatliche Portal Justiz-auktion.de in den Fokus. Auf der Plattform, die in ihrer Anmutung wie eine Billigversion von Ebay wirkt, kommen beschlagnahmte oder gepfändete Gegenstände unter den virtuellen Hammer: Perserteppiche, Bentleys, aber auch Schwenkbiegemaschinen oder ein »Konvolut Strickmützen«, Mindestgebot zwei Euro.


    Die Vorbereitungen für eine eigene Bitcoin-Auktionsplattform in Nordrhein-Westfalen seien »in der Abschlussphase«, teilt Staatsanwalt Hebbecker mit. In »drei bis vier Wochen« könnten darüber die ersten Kryptowährungen versteigert werden.

  • Ich staune immer wieder ueber die Formulierung der Medien, dass die Staatsanwaltschaft bitcoin beschlagnahmte (Laptop des Taeters). Natuerlich ist das so gut wie nichts, da die bitcoin nicht auf dem Laptop sind sondern in der Blockchain, es kommt ausschliesslich auf die Kontrolle der privaten Schluessel an. Wer einen Laptop erbeutet, hat in den meisten Faellen lediglich den Materialwert des Laptops erbeutet, bei schlechtem Passowort und fehlender Verschluesselung ggfls mehr.

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