Novogratz: …genau, also: Diese NFT-Manie läuft zum großen Teil auf der Flow-Blockchain. Das ist noch nicht einmal eine wirklich dezentralisierte Blockchain…
mmo: …also kein Register, das komplett ohne zentrale Steuerung auf vielen Tausenden Rechnern läuft, die alle die gesamte Blockchain beinhalten …
Novogratz: …das ist eine Datenbank. Den Konsumenten ist das egal, sie sind einfach begeistert. Aber wenn die Leute anfangen zu schauen, was sie für ihre Unternehmen im industriellen Maßstab nutzen können, dann werden sie mehr Sicherheit von einer Blockchain verlangen. Sie werden mehr Dezentralisierung einfordern. Deshalb ist es wichtig, dass in Berlin ein Kerngruppe von Entwicklern und Unternehmen gibt, die an so etwas arbeiten.
mmo: Werden einige der Hauptentwickler von Ethereum und anderen Blockchains in zehn Jahren so einflussreich sein wie die wichtigsten Techgründer im Silicon Valley heute?
Novogratz: Das glaube ich nicht. Das Schöne an dieser ganzen Sache ist doch die Dezentralisierung. Die meisten Menschen kennen ja nicht einmal die Namen der Hauptentwickler. Einige von denen besitzen haufenweise Ether, die meisten Entwickler aber nicht.
mmo: Ether, die Kryptowährung des Ethereum-Netzwerks, hatte zwischenzeitlich einen Marktwert von mehr als 200 Milliarden Dollar und war damit die klare Nummer zwei hinter Bitcoin mit zeitweise mehr als 1000 Milliarden Dollar Marktwert. Müssten bei so einer großen Wertschöpfung aus dem Nichts nicht viele Entwickler reich geworden sein?
Novogratz: In der Anfangszeit von Ethereum habe ich mal in einer Runde von Entwicklern gefragt, wer schon mal Ether besessen hat: 80 Prozent hoben die Hand. Dann fragte ich, wer jetzt noch Ether habe: Zwei Drittel der Hände gingen runter.
mmo: Woran liegt das?
Novogratz: Wenn du etwas kaufst, dass sich im Wert verzehnfacht, und dieses Vermögen dein Leben verändert, dann denkst du: Vielleicht sollte ich verkaufen und mir ein Haus und ein Auto leisten. Das macht es so schwer, an Kryptoinvestments festzuhalten, selbst wenn du daran glaubst. Deshalb verkaufen viele Entwickler, bevor die Projekte eine kritische Masse erreichen. Es ist einfacher, wenn du schon reich bist, weil es dann keinen Einfluss darauf hast, wie du lebst. Das besondere an Joe Lubin war, dass er schon etwas älter und wie ein religiöser Eiferer war. Sicher gibt es noch weitere, ähnliche Fälle. Krypto hat zwar Vermögen umverteilt, aber viel davon floss wieder zu den bereits zuvor Reichen. Zu den smarten Reichen und den glücklichen Reichen, die zuerst darauf gestoßen sind.
mmo: Wer genau sind denn die Glücklichen?
Novogratz: Das wäre ein interessantes Studienprojekt. Mehr als 1000 Milliarden Dollar an neuem Reichtum ist entstanden in den vergangenen zehn Jahren, das meiste sogar erst in den vergangenen fünf Jahren. Es wäre spannend zu wissen, wer das eingesackt hat, wo das hingeflossen ist und wo es wieder auftaucht. Sie haben mich neugierig gemacht. Ich werde einen von meinen Researchern dransetzen herauszufinden, wem diese Billion Dollar gehören.
mmo: Melden Sie sich gern, sobald Sie Erkenntnisse haben. Was wir schon wissen: Der Bitcoin-Besitz ist stark konzentriert: 60 Prozent aller Bitcoin gehören Adressen, sogenannten »Wallets« mit mehr als 100 Bitcoin. 40 Prozent gehören Adressen mit mehr als 1000 Bitcoin, also mit mehr als 50 Millionen Dollar Vermögen. Selbst wenn hinter einigen der großen Adressen Kryptohandelsplätze wie Coinbase oder Kraken stehen, sind die meisten davon Privatleute. Was für Leute sind das?
Novogratz: Ich kenne viele Bitcoin-Milliardäre. Aber die meisten waren vorher schon reich. Nimm die Winkelvoss-Brüder. Cameron und Tyler Winkelvoss hatten schon mit Facebook ein Vermögen gemacht. Dann haben sie einen Haufen Bitcoin gekauft und daran gut verdient. Auch Coinbase-Gründer Brian Armstrong, dessen Unternehmen viele Milliarden wert ist, hat sein Vermögen mit den Aktien von Coinbase gemacht. Es ist Vermögen umverteilt worden, aber es war nicht die egalitäre Revolution, die wir erleben könnten, wenn Staaten ihre Währungen entwerten. Dann verliert die Mittelklasse. Die Erfahrung der Hyperinflation aus den 1920er Jahren steckt den Deutschen noch in den Knochen, habe ich festgestellt bei einem Treffen mit einem früheren deutschen Außenminister, der leider schon verstorben ist.
mmo: Sie haben Guido Westerwelle getroffen?
Novogratz: Ja, er gab ein Abendessen in New York City, und ich kam in Lederhosen. Er sagte, das sei das Lustigste, was er je gesehen hatte. Es war ein festliches Dinner, aber ich war vorher bei einer Oktoberfest-Party gewesen. Wir hatten getrunken, es war sehr lustig. Ich argumentierte für eine etwas expansivere Fiskalpolitik. Die Regierung könne doch ruhig etwas mehr Geld ausgeben. Aber es steckte so in seinem Erbgut, nicht das Haushaltsdefizit zu erhöhen, wegen der Erfahrung von Weimar.
mmo: In den 1920er Jahren gab es auch einige Spekulanten, die während der Hyperinflation unglaublich reich geworden sind. In den vergangenen Wochen habe ich mit einigen Menschen gesprochen, die teils noch keine 40 Jahre alt sind und mehr als 100 Millionen Euro Vermögen besitzen. Weil sie vor zehn Jahren ihre für Computerspiele aufgerüsteten Computer zum Schürfen von Bitcoin genutzt hatten. Oder weil sie als Softwareentwickler in Berlin in Bitcoin bezahlt worden sind.
Novogratz: Sicherlich gibt es das. Aber der Grund für die Proteste, die wir zuletzt sahen – sei es die der Anhänger von Donald Trump, die fast das Capitol niedergebrannt hätten, oder die Anlegerrebellen des Forums »Wall Street Bets« auf der Onlineplattform Reddit, der Grund ist stets derselbe: Die Welt ist so ungleich geworden. Die Leute sind wütend. Klar sehe ich auf Twitter, dass einige Kids mit Krypto viel Geld verdient haben. Aber ich sehe noch nicht, dass es die große Ungleichheit reduzieren hilft.
mmo: Sind Kryptowährungen noch immer zu 99 Prozent in der Hand von Privatanlegern, wie sie kürzlich sagten?
Novogratz: Das verändert sich mit einer Geschwindigkeit von 1000 Meilen pro Stunde. Bitcoin wird zu einer Anlageklasse für institutionelle Anleger wie Versicherer und Pensionsfonds – schneller, als ich mir das je vorgestellt habe. Wir machen mit diesen Unternehmen Geschäfte – es ist also nicht so, dass ich mir das nur einbilde.
mmo: Hat Bitcoin für Großanleger bereits den Punkt überschritten, an dem sie es als Wertanlage betrachten, die nicht einfach wieder verschwinden wird?
Novogratz: Ja. Und wir werden in den nächsten Monaten Dinge erleben, dass die größten Finanzinstitutionen entscheiden, dass sie ein Teil von diesem Ökosystem sein wollen. Wer nicht mitmacht, ist »short«. In den nächsten sechs Monaten oder zwei Jahren sind wir in einer interessanten Phase, in der diese Leute etwas in ihre Depots bekommen müssen. Die Leute begreifen, dass Bankkonten keine Bankkonten mehr sein werden, sondern »Wallets«, Adressen mit Kryptopasswörtern. Wie werden Bank of America, Chase und Deutsche Bank von einem Kontensystem zu einem Wallet-System wechseln? Das ist eine fantastisch komplizierte technische Transition.
mmo: Wenn jemand zu Ihnen bei Galaxy Digital kommt und eine Milliarde Dollar in Bitcoin investieren will, wo finden Sie dann so viele Bitcoin? Die Bitcoin-Miner schürfen ja nur 900 Bitcoin pro Tag. Über Kryptobörsen? Oder finden sie einige dieser Bitcoin-Großbesitzer und kaufen von denen?
Novogratz: Oh, yeah. Das passiert gerade. Frühe Käufer, die Kids und auch ältere Vermögende, verkaufen ihre Bitcoin an institutionelle Investoren, die sie so schnell nicht wieder abgeben werden. Dann nehmen einige dieser »early adopter« das Geld aus ihrem Bitcoin-Verkauf und kaufen damit noch riskantere Sachen: Dann sehe ich den Ether-Kurs explodieren und die Preise von Decentralized-Finance-Investments. Und ich beobachte, wie Leute verrückte Preise für digitale Kunstwerke und NFTs zahlen. Das meiste davon wird wieder herunterkommen. Das ist ein bisschen hysterisch. Nur ein kleiner Teil der Bitcoin-Pioniere sieht das als Religion und sagt: Verkauft eure wertvollen Coins nicht an diese bösen, alten Institutionen. Das ist die Million-Dollar-Bitcoin-Crowd.